Mit OPERA geht ein neuartiges Editionsvorhaben zum Musiktheater an den Start, das editorische Fragestellungen an exemplarischen Werken demonstriert.
Exemplarische Werke in exemplarischen Editionen
OPERA – Spektrum des europäischen Musiktheaters in Einzeleditionen ist der Titel eines von der Akademien-Union finanzierten und an der Mainzer Akademie der Wissenschaften und der Literatur beheimateten Langzeitvorhabens, das sich der Edition musiktheatraler Werke widmet. 2009 wurde die Arbeit an der Universität Bayreuth aufgenommen, seit Jahresbeginn 2013 ist die Arbeitsstelle an der Goethe-Universität Frankfurt am Main angesiedelt. Aufgabe des Projekts ist die kritische Edition von 21 exemplarischen Werken des europäischen Musiktheaters unterschiedlicher Epochen und verschiedenster Gattungskonfigurationen.
Kritische Ausgaben von musikdramatischen Werken sind meist einer bestimmten Opernkultur bzw. Epoche verpflichtet und nur in wenigen Fällen sind dort mehrere Gattungen verschiedener Art vertreten (Neue Mozart-Ausgabe). OPERA hat hingegen zum Ziel, ein breites Spektrum unterschiedlichster Gattungen zu erfassen – eine solche Ausrichtung ist bis dato singulär. Auf diese Weise werden musikdramatische Genres integriert, die in anderen Kontexten nicht vertreten oder nur von peripherer Bedeutung waren. Im Rahmen des Editionsprojektes werden Werke der italienischen Oper vom 17. bis zum 19. Jahrhundert (Opera buffa, Opera seria, Opera semiseria), aber auch französische Oper (Opéra comique, Grand opéra) und deutsches Musiktheater (Singspiel, Melodram, „große“ Oper) erscheinen; ferner ist das slawische und skandinavische Musiktheater vertreten. Es finden insbesondere auch solche Gattungen Beachtung, die bislang kaum in kritischen Editionen bearbeitet wurden, wie Schauspielmusik, Operette oder Ballett; des Weiteren ergänzen multimediale Werke des 20. Jahrhunderts das Korpus der zu edierenden Werke.
Kriterien und Diskurse
Die Werkauswahl orientiert sich nicht allein an der musikhistorischen Bedeutung der einzelnen Stücke, sondern mehr noch wurde sie vom Kriterium editorischer Fragestellungen geleitet. Das heißt: OPERA versucht die spezifischen Problemfelder der Edition musiktheatraler Werke abzudecken. Das Ziel ist also doppelt: einerseits die Publikation gattungsrepräsentativer Werke, und andererseits die wissenschaftliche Fokussierung auf die mit diesen Gattungen verbundenen Problemstellungen. Anders als bei Komponistenausgaben gliedert sich das zu edierende Korpus nicht in Gattungs- und Werkgruppen, sondern in Moduleinheiten, welche auf die spezifische Editionsproblematik verweisen:
– Eigentext und Fremdtext
– Transfer und Transformation
– Aufführungspraxis und Interpretation
– Work in progress
– Sprechen und Singen
– Mediale Erweiterung
OPERA nimmt in vielfältiger Weise Diskurse auf, die im Kontext von Opern- und Musiktheatereditionen stattfanden und stattfinden. Hierzu gehört zuallererst die Frage einer adäquaten Publikations- und Editionsform des Textes (Librettos). Da Musik- und Textüberlieferung völlig verschiedene Überlieferungstraditionen haben, können die Konstellationen zwischen Partitur und Textbuch gänzlich unterschiedlicher Natur sein: konvergierend, divergierend oder auch komplementär. Hinzu kommt das Problem der unterschiedlichen Funktionsbindung eines Textbuches, das als „Lesetext“ für die Aufführung, in literarischer Gestalt (innerhalb einer Ausgabe) oder in Mischformen (beispielsweise Singspielbücher mit einstimmigen Notenbeilagen) in Erscheinung treten kann.
OPERA wird für jedes Werk eine eigene Textedition vorlegen, womit neben genuinen Textbüchern auch Quellensorten wie Regie- und Soufflierbücher, Choreographien oder Szenarien zu gleichwertigen Bestandteilen innerhalb einer Edition werden.
Hybridausgaben: Leinenband und Datenträger
Die Editionen werden in Hybridausgaben präsentiert: Die Partitur erscheint in traditionellem Leinenband; die Text- und Musikedition sowie der gesamte Kritische Apparat (inklusive Quellenbeschreibung und Quellenbewertung) werden in digitaler Gestalt (Datenträger [USB-Karte] liegt dem Leinenband bei) vorgelegt. Die gedruckten Bände enthalten die Vorworte auf Deutsch, Englisch und der Sprache des zu edierenden Werks. Der gesamte digitale Teil des Kritischen Berichts und der Textedition wird in englischer Sprache veröffentlicht.
Der Kritische Bericht erscheint auf der Plattform von „Edirom – Digitale Musikedition“, einem an der Universität Paderborn konzipierten – und für OPERA eigens weiterentwickelten – Software-Tool. Dieses Tool erlaubt nicht nur eine mehrgestaltige Anzeigeform der Lesarten des kritischen Apparats, sondern vor allem eine Implementierung aller editionsrelevanten Quellen. Ihre Visualisierung ermöglicht Transparenz und Nachvollziehbarkeit der jeweiligen editorischen Entscheidung. Die Annotationen selbst unterliegen der Klassifizierung in Musik (M), Text (T) und Szene (S). Ferner erlaubt „Edirom“ unterschiedliche Suchfunktionen von Lesartenproblemen (z. B. nach musikalischen Parametern wie Bögen, Verzierungen oder spezifischen Quellennotaten wie den im Theater üblichen Röteleintragungen). Die digitale Plattform „Edirom“ ermöglicht zudem einen neuen Umgang mit Fassungsproblemen, vor allem durch die synoptische Darstellung in verschiedenen Fenstern, was der musikalischen Praxis in besonderer Weise entgegenkommen dürfte.
Durch die multimediale und digitale Präsentationsform versucht OPERA, auch dem „mobilen“ Charakter von Musiktheater gerecht zu werden. Aus diesem Grund wurde der Fokus auch auf solche Werke gelegt, die unterschiedlichen Transformationen unterlagen wie beispielsweise Cherubinis Médée, Spohrs Faust oder Smetanas Die verkaufte Braut.
Thomas Betzwieser
(aus [t]akte 2/2013)