Gernot Gruber: Schubert. Schubert? Leben und Musik. Bärenreiter-Verlag 2010. 284 Seiten. € 29,95.
Gernot Gruber hat sein engagiertes und anregendes Buch aus einer produktiv-skeptischen Haltung der Rezeptionsgeschichte gegenüber geschrieben. Es richtet sich gegen erstarrte Bildnisse und speziell gegen die Berichte jener Schubert-Freunde, die sich selbst stilisierten, indem sie – oft erst nach Jahrzehnten – erzählten, wie Schubert wirklich war.
Der erste Hauptteil dieses Buches stellt in erzählerischer Form Schuberts Leben in seinen politischen und kulturgeschichtlichen Zusammenhängen dar, im zweiten Teil schildert Gruber Schuberts kompositorische Entwicklung. Stets verknüpft der Autor die historischen Fakten und Lücken mit persönlichen weiterführenden Gedanken, die inspirierend für eigene Hör- und Musiziererfahrungen sind.
Dieses Buch geht neue Wege im Erforschen des Zusammenspiels von Leben und Musik: an den historischen Dokumenten entlang, aber auch aus der musizierenden und hörenden Begegnung mit Schuberts Musik heraus. Jenseits eines akademisch-trockenen Tonfalls, in lebendiger Sprache, präsentiert Gruber ein „Nachdenken über Franz S.“
Bruckner-Handbuch. Hrsg. von Hans-Joachim Hinrichsen. Bärenreiter-Verlag / Verlag J. B. Metzler 2010. 424 Seiten. € 64,95.
Das Urteil über Bruckners Musik war von Anfang an so polarisiert wie bei keinem anderen Komponisten seiner Zeit. Es bezeugt die bis heute anhaltenden Irritationen über ein Lebenswerk, das als Dokument einer auskomponierten Anarchie abgelehnt, als überwältigendes Zeugnis katholischer Spiritualität angestaunt oder als Wegbereiter der Neuen Musik empfunden werden konnte. Schon zu Lebzeiten hinter einer Mauer von Anekdoten verborgen, steht der Komponist Anton Bruckner zu all diesen Stereotypen in einem fast unauflöslichen Widerspruch.
Das Handbuch als das umfassendste und aktuellste Kompendium zu Leben, Werk und Rezeption Bruckners erleichtert den Zugang zu diesem „schwierigen“ Komponisten. Namhafte Autoren aus dem Umkreis der Bruckner-Forschung wie Peter Gülke, Mathias Hansen, Laurenz Lütteken, Giselher Schubert, Wolfram Steinbeck und andere sind daran beteiligt.
Tim Steinke: Oper nach Wagner. Formale Strategien im europäischen Musiktheater des frühen 20. Jahrhunderts. Bärenreiter-Verlag 2011. 331 Seiten. € 54,–.
Wie gingen Komponisten, die zu Beginn des 20. Jahrhunderts für das Musiktheater schrieben, mit dem übermächtigen Erbe Richard Wagners um? Tim Steinke nähert sich dem Thema über den Aspekt der Form, mit der Wagner die Oper revolutionierte. Exemplarisch werden die Formkonzepte von fünf Bühnenwerken von Richard Strauss („Die Frau ohne Schatten“), Giacomo Puccini („La Fanciulla del West“), Karol Szymanowski („Król Roger“), Paul Dukas („Ariane et Barbe-Bleue“) und Franz Schreker („Die Gezeichneten“) aus dem Zeitraum zwischen 1907 und 1926 analysiert und vergleichend zueinander und zu Wagner in Beziehung gesetzt.
Über die Analyse musikdramatischer Kontexte hinaus werden in dieser umfassenden Darstellung musikalischer Wagner-Rezeption auch die literarischen Aspekte der zugrundeliegenden Dichtungen mitberücksichtigt.
Norbert Graf: Die Zweite Wiener Schule in der Schweiz. Meinungen – Positionen – Debatten. Schweizer Beiträge zur Musikforschung, Band 16. 294 Seiten. Bärenreiter-Verlag 2010. € 44,95.
Neue Musik wird heute in der Schweiz so intensiv gepflegt wie in anderen Ländern auch. In der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts sah dies noch ganz anders aus – sonderlich offen für die radikale musikalische Moderne war damals keine Schweizer Stadt. Trotzdem konnte 1937 Alban Bergs Zwölfton-Oper „Lulu“ in Zürich uraufgeführt werden.
Solche und weitere Widersprüche sind dem Autor Norbert Graf Anlass, mittels zeitgenössischer Presseberichte die Schweizer Rezeption der Musik Arnold Schönbergs, Anton Weberns und Alban Bergs in all ihren Nuancen und Kontrasten darzustellen. Politische und ideologische Hintergründe werden greifbar in einer Musiklandschaft, in der atonale Musik ihren Platz auch neben Blasmusik- und Chorkonzerten behaupten muss.
Melanie Wald-Fuhrmann: „Ein Mittel wider sich selbst”. Melancholie in der Instrumentalmusik um 1800. Bärenreiter-Verlag 2011. 520 Seiten. € 59,–.
Die Melancholie spielte in Europas Kulturgeschichte immer wieder eine bedeutende Rolle. Und seit David dem schwermütigen König Saul auf der Harfe vorspielte, ist die Musik ihr wichtigstes Heilmittel, aber auch ihr klingender Ausdruck. Diese Zwitterrolle der Musik wurde um 1800 auf besondere Weise aktuell: Komponisten schufen nun melancholische Musik, die ohne Texte auskam und den scheinbar abstrakten Verlaufskriterien von Sonate, Streichquartett oder Konzert folgte.
Rund um Beethovens Quartett-Satz „La malinconia“ von 1801 untersucht Melanie Wald-Fuhrmann das scheinbare Paradox, dass gerade während der Entstehungszeit der sogenannten „absoluten“ Musik die Melancholie zu einem entscheidenden „Inhalt“ von Instrumentalmusik werden konnte.
Zugleich wird die Musikästhetik der Jahre um 1800 völlig neu beleuchtet, die um die Konzepte von Empfindung, Charakter und Idee kreist.